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Die 10 Gebote der Borreliose - für Ärzte

Immer wieder werden mir Patienten mit Borreliose bzw. Borrelioseverdacht zugewiesen, außerdem werde ich auch oft persönlich von Kollegen bezüglich dieser Erkrankung um Rat gefragt. Daher sind mir einige typische Unsicherheiten in der Diagnose und Therapie der Borreliose aufgefallen. Ich habe daher die wichtigsten Punkte in 10 Kernaussagen zusammengefasst.

 

1. Eine Untersuchung der Zecke ist nicht indiziert

  • Die PCR Untersuchung einer Zecke auf verschiedenste Erreger wie FSME, Borrelien, Rickettsien etc. ist technisch möglich und wird im deutschsprachigen Raum auch von einigen Laboratorien angeboten.
  • Die Kosten werden nicht durch die Kassen gedeckt.
  • Die Aussagekraft eines positiven Nachweises ist äußerst begrenzt, so sagt der positive Tests in der Zecke nichts darüber aus, ob eine Übertragung überhaupt stattfand und ob die Erkrankung zu Symptomen beim Patienten führen wird. 
  • Bis zu 1/3 aller Zecken sind Borrelien-PCR positiv, aber nur in den wenigsten Fällen kommt es auch zum Ausbruch einer Borreliose beim Menschen.

2. Eine prophylaktische Gabe von Antibiotika ist unnötig

  • In den 90ern gab es Überlegungen, dem Patienten nach einem Zeckenstich einfach eine prophylaktische Gabe eines Antibiotikums zu geben. Diese Maßnahme wurde 2001 durch eine große Studie (Wormser et al. NEJM) widerlegt. Zwar ist die Gabe von Doxycyclin präventiv wirksam, jedoch müssten sehr viele Patienten behandelt werden, um einen Fall einer Borreliose zu verhindern. Es überwiegen die Nebenwirkungen des Antibiotikums.
  • Empfohlen ist: "watchful waiting". Es gilt, den Patienten nach einem Zeckenstich über das Erythema migrans aufzuklären und erst nach dem Auftreten von typischen Symptomen zu behandeln.

3. Eine Rötung der Haut unmittelbar nach dem Zeckenstich ist kein Erythema migrans

  • Die Borrelien brauchen Zeit um sich zu vermehren. Üblicherweise entsteht erst 1-3 Wochen nach dem Zeckenstich die typische Rötung.
  • Hautveränderungen, die bereits beim Zeckenstich und unmittelbar nachher zu sehen sind, entstehen durch den Fremdkörperreiz der Stichwerkzeuge und durch die fremden Proteine, die die Zecke hinterlässt.
  • Wenn die Diagnose unsicher ist, spricht nichts dagegen, den Rand der Rötung mit einem Kugelschreiben zu markieren und den Patienten 24-48 später nochmals zu bestellen.
  • In dubio wird man ein Antibiotikum geben.

4. Erythema migrans ist eine reine klinische Diagnose, es soll keine Serologie durchgeführt werden

  • Für die Diagnostik eines Erythema migrans ist die Serologie schlicht nicht geeignet.
  • Eine Serokonversion braucht 2-6 Wochen, daher kann die Serologie in der Frühphase falsch negativ sein.
  • Durch die hohe Seroprävalenz der Borreliose in Österreich und Deutschland, gibt es auch viele falsch positive Resultate. Wenn man alle Patienten die ein Erysipel haben, auf Borrelien testen würden, hätte man in der Altersgruppe wohl mindestens 20-30% falsch positive "Borreliendiagnosen".
  • Daher einfach nicht testen, sondern behandeln.

5. Behandelt wird bei einer Borreliose immer die Klinik, niemals die positive Serologie alleine

  • Leider ist die Serologie ein sehr unzuverlässiges Instrument um eine Borreliose zu diagnostizieren.
  • In Österreich haben, je nach Alter, Wohnort und Freizeitaktivitäten, 5% bis 90% der Bevölkerung Antikörper gegen Borrelien im Blut nachweisbar.
  • Daher ist nur ein negativer Borrelientest für die Diagnostik zum Ausschluss der Erkrankung aussagekräftig.
  • Ein positiver Test alleine sagt nur aus, dass das Immunsystem schon zu einer früheren Zeit Kontakt mit Borrelien hatte.
  • Keinesfalls sollte ohne einer borrelientypischen Symptomatik eine ungezielte Serodiagnostik durchgeführt werden.
  • Ein positiver Test ohne Symptome wird ignoriert: keine Therapie und keine Verlaufskontrollen.

6. Es soll keine serologische Kontrolle nach einer Therapie durchgeführt werden

  • Die Borrelienserologie bleibt auch nach einer erfolgreichen Therapie positiv.
  • Die Antikörper sind jedoch leider nicht bzw. nur partiell protektiv wirksam.
  • Es kommt erst nach Jahren bis Jahrzehnten zu einem signifikanten Rückgang der Titer.

7. Ein positiver IgM Titer sagt nichts über den Zeitpunkt einer Borrelieninfektion aus

  • Ein interessanter Aspekt der Serologie ist, dass es sogenannte "Borrelien IgM Persister" gibt. Bei manchen Menschen kommt es zu einer jahrelangen Persistenz der IgM Antikörper.
  • Auf keinen Fall bedeutet ein positiver IgM Nachweis, dass es sich um eine rezente oder gar aktive Borreliose handelt.
  • Die genauen immunologischen Grundlagen dieses Phänomens sind noch Gegenstand der Forschung.
  • In meiner Praxis würde ich schätzen, dass mindestens 20% der Patienten mit langjährigen "Borrelienserienuntersuchungen" eine IgM Persistenz, großteils mit einem gleichzeitigen Verlust der IgGs zeigen.

8. Jegliche Therapie einer Borreliose über mehr als 4 Wochen ist sinnlos

  • Im Internet kursieren viele "Rezepte" bezüglich monatelanger antibiotischer Therapien einer Borreliose.
  • Im Jahr 2016 wurde eine große Studie publiziert (Kullberg et al., NEJM): jegliche Therapie über 4 Wochen ist unabhängig von der Symptomatik nicht besser als Placebo.
  • Auch Kombinationstherapien sind nicht besser als Therapien mit nur einem Antibiotikum.
  • Die intravenöse Therapie ist nur in seltenen Fällen sinnvoll, bei den meisten Patienten reicht eine orale Therapie.

9. Wenn eine Borreliosetherapie nicht greift, ist in erster Linie die Diagnose zu hinterfragen und keine weiteren Therapien durchzuführen

  • Klinisch bedeutsame Resistenzen gegenüber den klassischen Antibiotika sind nicht bekannt.
  • Speziell beim Erythema migrans sollte es bereits innerhalb weniger Tage unter einer antibiotischen Therapie zu einem sichtbaren Abblassen kommen.
  • Rezidivierende oder therapieresistente Erythemae sprechen in erster Linie dafür, die Diagnose einer Borreliose zu überdenken und dermatologisch abklären zu lassen.
  • Mehrwöchige Therapien einer Spätborreliose, wie Neuroborreliose oder Lyme-Arthritis ohne Besserung der Symptome, sollten ebenfalls dringlich fachärztlich weiter abgeklärt werden.

10. Achtung vor vielen unseriösen Internetseiten bezüglich Borreliose

  • Borreliose ist eine Modeerkrankung und entsprechend überdiagnostiziert.
  • Die hohe Seroprävalenz in der Bevölkerung führt zur fälschlichen Annahme, dass alle möglichen Symptome einer Borreliose zugeordnet werden können.
  • Die Symptomatik, Diagnostik und Therapie der Borreliose ist seit vielen Jahren gut erforscht und durch entsprechende Fachgesellschaften und Fachzeitschriften publiziert.
  • Leider gibt es einige Vereine, Internetseiten und auch Ärzte, die eine wissenschaftlich nicht gerechtfertigte, obskure Diagnostik (LTT, Lymphozytentypisierung, Dunkelfeldmikroskopie) propagieren und monatelange sinnlose antibiotische Therapien empfehlen.
  • Selbst für Ärzte ist es manchmal nicht leicht, seriöse von "parawissenschaftlichen" Seiten zu unterscheiden.

Ergänzung vom 25.4.2017:

In der letzten Woche habe ich sehr viele Mails und Kommentare zu den "10 Geboten" erhalten. Teilweise Lob, teilweise Kritik, meist aber sehr sachlich formuliert. Ich bitte um Verständnis, dass ich einen Großteil nicht beantworten kann und daher Kommentare auch nicht unbeantwortet freischalten möchte. Mir fehlt schlicht die Zeit dazu.

Sollten sie eine ganz konkrete und kurze fachliche Anfrage haben, bitte mir mailen. Auf komplexe Patientenfälle kann ich leider nur in der Ordination näher eingehen.

Ich bitte um Verständnis.

 

Kommentare: 8 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Dr. MIchael Dörr (Montag, 17 April 2017 10:24)

    Hervorragende Zusammenstellung der wichtigsten Aspekte. Gerade die reaktive Rötung an der Bißstelle wird häufig mit dem Erythema migrans verwechselt.

  • #2

    Gert Schlegel (Montag, 17 April 2017 12:27)

    SYMTOME KÖNNEN NACH EINER LANGZEIT STUDIE VON DR. HASSLER IM GESAMTEN KRAICHGAU NOCH 10 JAHRE NACH INFEKTIONSBEGINN AUFTRETEN. DANN HABEN SICH DIE BORRELIEN BEReITS IM GESAMTEN ORGANISMUS AUSGEBREITET UND CHRONIFZIERT.DIE DANN ZAHLREICHE SYMTOMATIK ;SCHMERZEN, KOGNITIVE BEEINTRÄCHTIGUNGEN u.v.m. sind meist irreversibel.

  • #3

    Günther Schust (Montag, 17 April 2017 17:18)

    Sehr geehrter Herr Dr. Széll,
    in Ihrer Beschreibung sind einige gravierende Fehler, die für Betroffene verherende Auswirkungen haben können. Bevor Sie die 10 Gebote der Borreliose - für Ärzte zusammenfassten, wäre es sinnvoll gewesen, wenn sie sich mit Ihren Arztkollegen der Deutschen Borreliose-Gesellschaft (www.borreliose-gesellschaft.de) in Verbindung gesetzt hätten. Sie könnten aber auch Ihren Kollegen Herrn Dr. med. univ. Albin Dr. Albin Obiltschnig kontaktieren, der Ihnen realistisch Auskunft über die Borreliose geben könnte.

    Dr. Albin Obiltschnig
    Unfallchirurgie
    Telefon: 0463 / 325 45
    Feldkirchner Str. 82
    9020 Klagenfurt

    Ich bin kein Arzt, aber ich habe die Borreliose leidvoll und intensiv über Jahre durchlebt: (Google>günther schust durch die hölle und zurück)
    „Einmal Hölle und zurück“ – ein Vereinsmitglied und seine ...
    www.onlyme-aktion.org/einmal-hoelle-und-zuru...

    Dr. Kenneth Bruce Liegner (Google), MD und PC, verfügt über 35 Jahre Erfahrung und Praxis für Innere Medizin und Intensivmedizin bezeichnet die Situation so (Zitat):

    Eines Tages wird der jetzt gängige Umgang mit chronischer Lyme-Borreliose als eine der schändlichsten Episoden von Verleugnung in der Geschichte der Medizin angesehen werden müssen.

    Dem muß ich nichts weiter hinzufügen.

  • #4

    Dr. Marton Szell (Montag, 17 April 2017 18:59)

    Sehr geehrter Herr Schust
    Bitte um Bekanntgabe welche "gravierenden Fehler" ich in meinem Blog habe. Alles was ich niedergeschrieben habe, basiert nicht auf meine persönliche Einschätzung, sondern ist in allen Empfehlungen nationaler und internationaler Fachgesellschaften nachzulesen.
    Herrn Dr. Obiltschnig konnte ich noch nie auf einem Infektionskongress in Österreich oder Europa kennenlernen. Hat er sie nie besucht?

  • #5

    Petra Meier (Dienstag, 18 April 2017 12:25)

    Sehr geehrter Herr Dr. Szell,
    auf welche Empfehlungen nationaler bzw. internationaler Fachgesellschaften beziehen Sie sich genau? Gern lese ich diese Empfehlungen auch selbst nach um persönlichen Interpretationen zu entgehen .
    MfG

  • #6

    Dr. Marton Szell (Dienstag, 18 April 2017 15:35)

    Sehr geehrte Frau Meier

    Anbei die aktuellen Richtlinien und gültigen Empfehlungen:

    USA

    IDSA Guideline aus 2006 (es kommt 2018 ein Update, es wird aber nicht sehr viele Änderungen geben): https://academic.oup.com/cid/article-lookup/doi/10.1086/508667
    CDC (US Seuchenbehörde): https://www.cdc.gov/lyme/
    NEJM 2014: http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMcp1314325

    Deutschland:

    Robert Koch Institut: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_LymeBorreliose.html
    AWMF: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-044l_S2k_Kutane_Lyme_Borreliose_2016-05.pdf
    und http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-071l_S1_Neuroborreliose_2012_verlaengert.pdf

    Österreich:

    http://www.aerztezeitung.at/fileadmin/PDF/2004_Verlinkungen/2004-09_DFP_LymeBorreliose.pdf
    (Prof. Stanek in Wien ist übrigens einer der führenden Borrelienforscher weltweit)

    Europäische Forschungsgruppe:
    http://www.eucalb.com/


    usw.

    PS: die Studienlage ist weltweit recht eindeutig, es gibt nur bei einigen wenigen Punkten Unterschiede in den Empfehlungen.




  • #7

    Med92 (Mittwoch, 19 April 2017 21:09)

    Sehr geehrter Hr. Dr. Szell

    Wie beurteilen sie folgende Studie?

    https://www.meduniwien.ac.at/web/ueber-uns/news/detailseite/2016/news-im-dezember-2016/antibiotika-gel-verhindert-borreliose-nach-zeckenstich/


    MfG

  • #8

    Dr. Marton Szell (Mittwoch, 19 April 2017 23:58)

    Sehr geehrter Herr Med92

    In der Originalarbeit von Michi Schwameis im Lancet Infectious Disease (http://thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(16)30529-1/abstract) steht in der Interpretation folgendes:

    "Topical azithromycin was well tolerated and had a good safety profile. Inclusion of asymptomatic seroconversion into the primary efficacy analysis led to no prevention effect with topical azithromycin. "

    Dem ist nichts hinzuzufügen.